Zwei Manner, ein Film - und ein Trafo

von Redakteur

Zwei Manner, ein Film - und ein Trafo

Zwei Männer, ein Film - und der Trafo

Sven Meiselbach ist Geschäftsführer der Thalheimer Transformatorenwerke.

Ins Internet stellen viele Leute viele skurrile Dinge: Von Katzenfilmchen bis zur Verschwörungstheorie. Doch da gibt es auch noch diesen Sergej aus Hamburg - und ein altes Aggregat aus Thalheim.

Von Jan Oechsner erschienen am 29.07.2017 in der Freien Presse. Eigentlich wollte Sven Meiselbach seiner kleinen Tochter auf Youtube nur stolz den kleinen Firmenfilm zeigen. Motto: "Guck mal, Papa im Fernsehen." Der Mann ist Chef der Thalheimer Transformatorenwerke, aber eben auch Vater. Doch als er im Netz war, sah er noch einen ganz anderen Film. Hauptdarsteller: Ein Laborstelltransformator LTS 606 seiner Firma - und einen mit russischem Dialekt erzählenden Sergej. Dieser baut das Thalheimer Gerät in einem 42-Minuten-Film auseinander, bohrt Löcher ins Gehäuse, zeigt Schaltpläne. "Ein extra Laborstecker wäre an dem Gerät besser", so sein Fazit.

"Das war ein Schock. Ich habe den Film auch der Belegschaft gezeigt. Die atmeten schwer." Doch dann änderten die Thalheimer ihre Haltung. "Erstens hat dieser Sergej Ahnung und spielt in der elektrotechnischen Bundesliga - und unser Gerät kam bei dem Test gut weg", so Meiselbach. Kostenlose Werbung inklusive: Der Mann hatte allein mit diesem Film, der wirklich nur für eingefleischte Elektronik-Bastler bis zur letzten Minute interessant bleibt, schon etwa 3000 Klicks. Derzeit ist es fast das Doppelte. Meiselbach nennt einen Vergleich: "Auf der Hannovermesse haben wir etwa 200 Kontakte gehabt."

Meiselbach hat dann diesem Sergej geschrieben, dieser antwortete, mittlerweile haben beide Männer schon telefoniert. "Nun schicke ich ihm einen LTS 610 Profiline, der hat gerade den Prototyp-Status hinter sich", so Meiselbach. Das Teil habe deutlich mehr Elektronik, dazu USB-Anschluss, eine Log-Funktion, besseres Display und vier Ampere mehr als der LTS 606. "Das ist gewagt, denn dieser Sergej ist auch kritisch", so Meiselbach. Er selbst sei aber einer, der diese neue Art von Werbung sieht, die auch die Kundenmeinung widerspiegelt und sie nicht ignoriert. "Das sind die neuen Wege. Und sie finden auch so statt, selbst wenn wir es nicht wollen."

"Das ist mutig von Herrn Meiselbach", nickt Sergej. "Denn ich weiß noch nicht, ob ich das Gerät überhaupt testen will. Im Sommer gehe ich lieber raus und fotografiere, es ist mein Hobby. Und wenn ich es aber teste, dann bin ich unabhängig."

Der Mann kam vor 20 Jahren mit seiner Familie aus Russland nach Hamburg, ist heute 31 Jahre und Entwicklungsingenieur eines großen Maschinenbauunternehmens, will deshalb auch nur mit dem Vornamen genannt werden. Er liebt vor allem ältere elektronische Geräte - der Thalheimer LTS 606 ist aus den 1990-er Jahren. "Ich habe mit den Youtube-Filmen einst begonnen, um zu üben, möglichst lange und verständlich und zusammenhängend zu reden. Bei Fachtagungen muss ich genau dies oft machen." Das es wirklich Leute gibt, die seine Filme einfach so anschauen, habe er nicht erwartet. "Ich selbst finde sie ja eher langweilig", grinst Sergej. Mittlerweile sind es 60 Beiträge über alles, was Strom zieht: vom Hutschienen-Netzteil über Gleichrichter oder Multimeter bis zum Funktionsgenerator. Das erste Video zeigt Sergej mit einem Infrarot-Thermometer - vom Oktober 2014.

"Ich kaufe mir die Geräte meist gebraucht, um sie dann vor laufender Kamera zu besprechen und auseinander- oder umzubauen." Bei dem gebrauchten Thalheimer Trafo hat er sofort zugegriffen, weil dieser selten zu finden sei. Preis: 100 Euro.

Nur, hat er keine Angst, von Firmen vereinnahmt oder selbst weich zu werden für Bestechung? "Ich bekomme regelmäßig Anfragen, die Geräte zu testen. Ich bin immer erstmal offen, sage aber auch, dass ich frei berichte. Das kann ich mit gutem Gewissen sagen, denn ich verdiene sehr gut und ich bin frei, ob ich überhaupt berichte." Jüngst hatte ein Online-Elektronikhändler ihn um einen Test gebeten. Sergej: "Mein Fazit war niederschmetternd." Anderer Fall: Bei einem Multimeter hat er offenkundig als erster einen Fehler entdeckt. "Der Hersteller hatte sich gleich gemeldet und bedankt."

Dem Thalheimer Gerät bescheinigt er gute Noten, baut im Film aber noch verschiedene Buchsen ins Frontgehäuse, etwa für eine extra Sicherung oder einen Vorwiderstand, um so Kurzschlüsse besser zu begrenzen. Fakt ist: Offenbar gibt es etliche Fans für den LTS 606: "Das ist ja kein Haushaltsgerät. Und trotzdem schauen so viele Leute das an", sagt Sergej. Die Frage bleibt: Werden die beiden Elektroniker - er aus Hamburg und Sven Meiselbach aus Thalheim, je Kumpels? Sergej: "Das würde den Verdacht erzeugen, dass ich nicht mehr unabhängig bin."

 © Copyright Chemnitzer Verlag und Druck GmbH & Co. KG

Zurück